Der Dollar schluckt den Euro
Zu dieser Übersetzung: Dieser Artikel erschien im englischen Original zuerst am 7. April unter dem Titel „The Dollar Devours the Euro“ auf der Webseite von Michael Hudson, dort veröffentlicht unter der „Creative Commons“-Lizenz CC BY-NC-SA 3.0 US. Eine – teils fehlerhafte – deutsche Übersetzung erschien am 10. April bei MagMa und wurde am 14.4. u.a. von TKP übernommen. Multipolar hat den Text neu übersetzt. Die Links in dieser Übersetzung stammen nicht von Michael Hudson, sondern wurden, zur besseren Verständlichkeit für ein deutschsprachiges Publikum, von Multipolar ergänzt.
Es ist jetzt klar, dass die gegenwärtige Eskalation des Neuen Kalten Krieges bereits vor über einem Jahr geplant wurde. Der Plan der USA, Nord Stream 2 zu blockieren, war Teil der Strategie, Westeuropa (die NATO) daran zu hindern, durch gemeinsamen Handel mit China und Russland und durch wechselseitige Investitionen zu Wohlstand zu kommen.
Laut Präsident Biden und den Einschätzungen der US-Regierung zur nationalen Sicherheit wurde China als der Hauptfeind angesehen – obwohl China den amerikanischen Unternehmen geholfen hat, die Löhne zu drücken, indem es die US-Wirtschaft de-industrialisiert hat, zugunsten der chinesischen Industrialisierung. Chinas Wachstum wurde als ultimative Bedrohung angesehen: Wohlstand durch Sozialismus. Die sozialistische Industrialisierung wurde immer als der große Feind der Rentenökonomie (1) angesehen, die in dem Jahrhundert seit dem Ende des Ersten Weltkriegs die meisten Nationen übernommen hat, insbesondere seit den 1980er Jahren. Das Ergebnis ist heute ein Zusammenprall der Wirtschaftssysteme – sozialistische Industrialisierung auf der einen Seite und neoliberaler Finanzkapitalismus auf der anderen.
Das macht den Neuen Kalten Krieg gegen China zum Eröffnungsakt eines drohenden langwierigen Dritten Weltkriegs. Die Strategie der USA besteht darin, Chinas wahrscheinlichste wirtschaftliche Verbündete beiseite zu drängen, insbesondere Russland, Zentralasien, Südasien und Ostasien. Die Frage war, wo die Zerstückelung und Isolierung beginnen sollte.
In Russland sah man die größte Chance, einen solchen Partner zuerst zu isolieren, sowohl von China als auch von der NATO-Eurozone. Eine Reihe von immer schärferen – und gewünscht tödlichen – Sanktionen wurde gegen Russland ausgearbeitet, um die NATO am Handel mit diesem Land zu hindern. All dies war nötig, um das geopolitische Erdbeben auszulösen, das den Anlass für einen Krieg schuf.
Das war leicht zu bewerkstelligen. Der eskalierende Neue Kalte Krieg hätte im Nahen Osten beginnen können – wegen des Widerstands gegen die Aneignung der irakischen Ölfelder durch die USA, gegen den Iran und die Länder, die ihm beim wirtschaftlichen Überleben helfen, oder in Ostafrika. Für alle diese Gebiete existieren Pläne für Putsche, Farbrevolutionen und Regimewechsel. Amerikas afrikanische Armee wurde in den letzten ein, zwei Jahren besonders schnell aufgebaut. Doch die Ukraine, die seit dem Maidan-Putsch von 2014 acht Jahre lang Schauplatz eines von den USA unterstützten Bürgerkriegs war, bot die Chance auf den ersten großen Sieg in dieser Konfrontation mit China, Russland und ihren Verbündeten.
So wurden die russischsprachigen Regionen Donezk und Luhansk mit zunehmender Intensität beschossen, und als Russland immer noch nicht reagierte, wurden Berichten zufolge Pläne für einen großen Showdown geschmiedet, der Ende Februar beginnen sollte – beginnend mit einem von US-Beratern organisierten und von der NATO bewaffneten westukrainischen Blitzangriff.
Russlands präventive Verteidigung der beiden ostukrainischen Provinzen und die anschließende militärische Zerstörung der ukrainischen Armee, Marine und Luftwaffe in den letzten zwei Monaten wurde als Anlass für die Verhängung des von den USA konzipierten Sanktionsprogramms genutzt, das wir heute erleben. Westeuropa hat pflichtbewusst mitgemacht. Anstatt russisches Gas, Öl und Nahrungsmittel zu kaufen, wird es diese von den Vereinigten Staaten beziehen, zusammen mit stark erhöhten Waffenimporten.
Der voraussichtliche Absturz des Euro/Dollar-Kurses
Es ist daher angebracht zu untersuchen, wie sich dies auf die Zahlungsbilanz Westeuropas und damit auf den Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar auswirken wird.
Der europäische Handel und die Investitionen vor dem Sanktionskrieg versprachen einen steigenden gegenseitigen Wohlstand zwischen Deutschland, Frankreich und anderen NATO-Staaten gegenüber Russland und China. Russland lieferte reichlich Energie zu einem wettbewerbsfähigen Preis und diese Energielieferung hätte mit Nord Stream 2 einen Quantensprung gemacht. Europa hätte die Devisen für diesen steigenden Importhandel durch eine Kombination aus Exporten von Industrieerzeugnissen nach Russland und Kapitalinvestitionen in die Entwicklung der russischen Ökonomie erwirtschaftet, zum Beispiel durch deutsche Automobilunternehmen und Finanzinvestitionen. Dieser bilaterale Handel und diese Investitionen sind jetzt gestoppt und werden noch viele Jahre gestoppt bleiben, da die NATO Russlands Devisenreserven, die in Euro und britischen Pfund gehalten werden, beschlagnahmt hat und die Russophobie in Europa von den US-Propagandamedien geschürt wird.
Stattdessen werden die NATO-Länder amerikanisches Flüssigerdgas (LNG) kaufen – allerdings müssen sie Milliarden von Dollar für den Aufbau ausreichender Hafenkapazitäten ausgeben, was vielleicht bis 2024 dauern wird (viel Glück bis dahin). Die Energieknappheit wird die Weltmarktpreise für Gas und Öl drastisch ansteigen lassen. Die NATO-Länder werden auch ihre Waffenkäufe beim militärisch-industriellen Komplex der USA ausweiten. Die nahezu panischen Käufe werden auch den Preis für Waffen in die Höhe treiben. Und auch die Lebensmittelpreise werden steigen, da es einerseits aufgrund der Einstellung der Importe aus Russland und der Ukraine und andererseits aufgrund des Mangels an Ammoniakdünger, der mit Gas hergestellt wird, zu einem dramatischen Mangel an Getreide kommen wird.
Alle diese drei Handelsdynamiken werden den Dollar gegenüber dem Euro stärken. Die Frage ist, wie Europa seine internationalen Zahlungen mit den Vereinigten Staaten ausgleichen wird. Was kann Europa exportieren, das die US-Wirtschaft akzeptiert, während ihre eigenen protektionistischen Interessen an Einfluss gewinnen, nun, da der globale Freihandel rasch stirbt?
Die Antwort ist: nicht viel. Was also wird Europa tun?
Ich könnte einen bescheidenen Vorschlag machen. Jetzt, da Europa so gut wie aufgehört hat, politisch unabhängig zu sein, sieht es allmählich mehr aus wie Panama und Liberia – „Billigflaggen“-Offshore-Bankzentren, die keine echten „Staaten“ sind, weil sie keine eigene Währung ausgeben, sondern den US-Dollar verwenden. Da die Eurozone mit monetären Handschellen geschaffen wurde, die ihre Fähigkeit einschränken, Geld für Investitionen zu schaffen, die über die Grenze von 3 Prozent des BIP hinaus gehen – warum nicht einfach das Handtuch werfen und den US-Dollar übernehmen, wie Ecuador, Somalia und die Turks- und Caicosinseln? Das würde ausländischen Investoren Sicherheit vor einer Währungsabwertung in ihrem steigenden Handel mit Europa und seiner Exportfinanzierung geben.
Für Europa besteht die Alternative darin, dass die Dollarkosten seiner Auslandsschulden zur Finanzierung seines wachsenden Handelsdefizits mit den Vereinigten Staaten für Öl, Waffen und Lebensmittel explodieren werden. Die Kosten in Euro werden noch größer, wenn die Währung gegenüber dem Dollar fällt. Die Zinssätze werden steigen, Investitionen bremsen und Europa noch abhängiger von Importen machen. Die Eurozone wird zu einer wirtschaftlichen Todeszone.
Für die USA ist das eine gedopte Dollar-Hegemonie – zumindest gegenüber Europa. Der Kontinent würde eine etwas größere Version von Puerto Rico werden.
Der Dollar im Verhältnis zu den Währungen des globalen Südens
Die Vollversion ist die Umwandlung des Neuen Kalten Krieges in die Eröffnungssalve des Dritten Weltkriegs, ausgelöst durch den "Ukraine-Krieg", der wahrscheinlich mindestens ein Jahrzehnt, vielleicht zwei, dauern wird, während die USA den Kampf zwischen Neoliberalismus und Sozialismus zu einem weltweiten Konflikt ausweiten. Neben der wirtschaftlichen Eroberung Europas versuchen die US-Strategen, die Länder Afrikas, Südamerikas und Asiens auf ähnliche Weise zu blockieren und einzugrenzen, wie es für Europa geplant ist.
Der starke Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise wird die Volkswirtschaften mit Nahrungsmittel- und Erdöldefiziten hart treffen – zur gleichen Zeit, in der ihre auf Dollar lautenden Auslandsschulden bei Anleihegläubigern und Banken fällig werden und der Dollarkurs gegenüber ihrer eigenen Währung steigt. Viele afrikanische und lateinamerikanische Länder – vor allem in Nordafrika – stehen vor der Wahl, entweder zu hungern, ihren Benzin- und Stromverbrauch zu drosseln oder sich Dollar zu leihen, um ihre Abhängigkeit vom US-geprägten Handel zu decken.
Es wurde über die Ausgabe neuer SZR (2) durch den IWF gesprochen, um die steigenden Handels- und Zahlungsdefizite zu finanzieren. Aber solche Kredite sind immer mit Bedingungen verbunden. Der IWF hat seine eigene Politik, Länder zu sanktionieren, die sich nicht an die US-Politik halten. Die erste Forderung der USA wird sein, dass diese Länder Russland, China und deren aufstrebende Handels- und Währungsselbsthilfeallianz boykottieren. "Warum sollten wir Ihnen SZR geben oder neue Dollarkredite gewähren, wenn Sie diese einfach in Russland, China und anderen Ländern ausgeben, die wir zu Feinden erklärt haben", werden die US-Beamten fragen.
Dies ist zumindest der Plan. Es würde mich nicht überraschen, wenn irgendein afrikanisches Land zur "nächsten Ukraine" würde, mit US-Vertreter-Truppen (es gibt immer noch viele Wahhabiten-Befürworter und Söldner), die gegen die Armeen und Bevölkerungen von Ländern kämpfen, die sich mit russischem Getreide ernähren und ihre Wirtschaft mit Öl oder Gas aus russischen Quellen versorgen wollen – ganz zu schweigen von der Teilnahme an Chinas “Belt and Road Initiative“, die letztlich der Auslöser für Amerikas neuen Krieg um die globale neoliberale Hegemonie war.
Die Weltwirtschaft steht in Flammen und die Vereinigten Staaten haben sich auf eine militärische Antwort und auf die Nutzung ihres eigenen Öl- und Agrarexporthandels als Waffe vorbereitet. Sie verlangen nun von jedem Land sich zu entscheiden, welcher Seite des Neuen Eisernen Vorhangs es sich anschließen will.
Aber was hat Europa davon? Die griechischen Gewerkschaften demonstrieren bereits gegen die verhängten Sanktionen. Und in Ungarn hat Ministerpräsident Viktor Orban gerade eine Wahl gewonnen, die im Wesentlichen auf einer EU- und US-feindlichen Weltanschauung beruht, und sich bereit erklärt, russisches Gas in Rubeln zu bezahlen. Wie viele andere Länder werden aus der Reihe tanzen – und wie lange wird das dauern?
Was haben die Länder des Globalen Südens davon, ausgepresst zu werden – nicht nur als "Kollateralschaden" der großen Knappheit und der steigenden Preise für Energie und Lebensmittel, sondern als das eigentliche Ziel der US-Strategie, die damit die große Spaltung der Weltwirtschaft einleitet? Indien hat US-Diplomaten gegenüber bereits erklärt, dass seine Wirtschaft mit derjenigen Russlands und Chinas auf natürliche Weise verbunden ist.
Aus Sicht der USA stellt sich allerdings nur eine Frage: "Was haben die lokalen Politiker und abhängigen Oligarchien davon, die wir dafür belohnen, dass sie ihre Länder ausliefern?"
Das ist es, was den drohenden Dritten Weltkrieg zu einem regelrechten Krieg der Wirtschaftssysteme macht. Für welche Seite werden sich die Länder entscheiden: für ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und ihren sozialen Zusammenhalt oder für die US-Diplomatie, die ihren politischen Führern nahegelegt wird? In Verbindung mit der Einmischung der USA im Stil der 5 Milliarden Dollar, von denen die stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland vor acht Jahren prahlte, dass die USA sie in die ukrainischen Neonazi-Parteien investiert hätten (3), womit die Kämpfe begannen, die den heutigen Krieg auslösten, gibt es viel zu abzuwägen.
Wie lange wird es angesichts all dieser politischen Einmischung und Medienpropaganda dauern, bis der Rest der Welt erkennt, dass ein globaler Krieg im Gange ist, der sich zum Dritten Weltkrieg ausweitet? Das eigentliche Problem lautet: Bis alle begriffen haben, was vor sich geht, wird der globale Bruch Russland, China und Eurasien bereits in die Lage versetzt haben, eine echte nicht-neoliberale Neue Weltordnung zu schaffen, die keine NATO-Staaten braucht, da sie das Vertrauen und die Hoffnung auf gegenseitige wirtschaftliche Vorteile verloren haben. Das militärische Schlachtfeld wird mit wirtschaftlichen Leichen übersät sein.
Über den Autor: Michael Hudson, Jahrgang 1939, ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der University of Missouri in Kansas City. In den 1960er Jahren arbeitete er als Ökonom für die Chase Manhattan Bank und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen. Sein erstes Buch „Super Imperialism“ erschien 1972. Seit den 1990er Jahren konzentrierte er sich auf historische Forschungen zum Wirtschaftssystem und der Rolle von Schulden im Alten Orient, wozu er mehrere Konferenzen organisierte. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher „Killing the host“ (2015) – deutsch: "Der Sektor" –, „J is For Junk Economics: A Guide to Reality in an Age of Deception“ (2017) und „...and Forgive Them Their Debts: Lending, Foreclosure and Redemption from Bronze Age Finance to the Jubilee Year“ (2018).
Anmerkungen
(1) Mit „Rentenökonomie“ bezeichnet Hudson eine Wirtschaft, die von Menschen mit leistungslosen Einkommen – wie etwa Dividenden, Zinsen, Pachten und Mieten – dominiert wird. Solche Einkommen werden auch als ökonomische Renten bezeichnet.
(2) SZR ist die Abkürzung für „Sonderziehunsgrechte“, eine Form von internationalen Reserveguthaben, initiiert vom IWF.
(3) Hudsons Aussage ist polemisch. Nuland erwähnte keine Neonazis, sondern sagte Ende 2013 wörtlich: „Seit der Unabhängigkeit 1991 hat das amerikanische Volk den Übergang der Ukraine zu Demokratie und Marktwirtschaft mit fünf Milliarden Dollar unterstützt.“
Leseempfehlungen dazu:
Paul Schreyer: Michael Hudson: „Das Projekt der Aufklärung wird begraben“ – Rezension von Michael Hudsons Buch „Der Sektor – Warum die globale Finanzwirtschaft uns zerstört“
Michael Hudson: „The American Empire self-destructs“ (06.03.2022) – Auszug (übersetzt): „Niemand hätte gedacht, dass die Weltordnung der Nachkriegszeit (1945-2020) so schnell untergehen würde. Eine wirklich neue internationale Wirtschaftsordnung ist im Entstehen begriffen, auch wenn noch nicht klar ist, welche Form sie annehmen wird. Aber die Konfrontation zwischen den USA und der NATO mit Russland hat eine kritische Masse erreicht. Es geht nicht mehr nur um die Ukraine. Sie ist lediglich der Auslöser, ein Katalysator, der einen Großteil der Welt aus der US/NATO-Umlaufbahn treibt. (...) Was das Ausland nicht für sich selbst getan hat – den IWF, die Weltbank und andere Arme der US-Diplomatie zu ersetzen –, dazu zwingen die amerikanischen Politiker sie jetzt. Anstatt dass sich die Länder Europas, des Nahen Ostens und des Globalen Südens aufgrund ihrer eigenen Kalkulation ihrer langfristigen wirtschaftlichen Interessen abwenden, treibt Amerika sie weg, so wie es das mit Russland und China getan hat. (...) Der Versuch, Russland zu einer militärischen Reaktion zu zwingen und es dadurch gegenüber dem Rest der Welt in ein schlechtes Licht zu rücken, entpuppt sich als ein Stunt, der lediglich darauf abzielt, zu zeigen, dass Europa mehr zur NATO beitragen muss, mehr US-Militärgüter kaufen und sich noch stärker in die handels- und geldpolitische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten begeben soll. Die dadurch verursachte Instabilität führt dazu, dass die Vereinigten Staaten genauso bedrohlich wirken wie Russland.“
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