Die Geopolitik der Energie (1)
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Energieverbrauch der Menschheit aufgrund der Bevölkerungszunahme und eines fast exponentiellen globalen Wirtschaftswachstums rapide angestiegen. Lag der durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Verbrauch im Jahr 1990 noch bei 64 Gigajoule, ist dieser bis zum Jahr 2019 auf 75 Gigajoule angewachsen. Gleichzeitig wuchs die Weltbevölkerung um fast 50 Prozent.
Abbildung 1: Energieverbrauch pro Kopf und Bevölkerung je Region | Eigene Darstellung, Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy July 2021, Karte: Simplymaps freigegeben unter Creative Commons Public License
In Abbildung 1 sind deutliche regionale Unterschiede zu erkennen. Während in Nordamerika und Europa der Verbrauch in den 1990er Jahren zunächst auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau verharrte und seit Mitte der 2000er Jahre leicht zurückgeht, hat der Nahe Osten zum Energieverbrauch der Europäer aufgeschlossen. Nach dem Ende der Sowjetunion ist in den 1990er Jahren ein starker Rückgang des Energieverbrauchs in der Region zu verzeichnen, der sich aber seit 2000 wieder in ein Wachstum umkehrt hat. Deutlich zu erkennen sind in der animierten Darstellung die teils überregionalen Einbrüche beim Pro-Kopf-Energieverbrauch im Zuge der Weltfinanzkrise ab 2008 und im ersten Corona-Jahr 2020.
Im Gegensatz dazu befindet sich der Energieverbrauch pro Kopf in Zentral- und Südamerika, Afrika und Asien noch immer unterhalb des globalen Durchschnitts. Allerdings ist er in Zentral- und Südamerika sowie besonders in Asien in den letzten 20 Jahren stark angewachsen. Da gleichzeitig auch die Bevölkerung in diesen Weltregionen deutlich zugenommen hat, steigt der globale Energieverbrauch kontinuierlich an.
Öl, Gas und Kohle werden aus globaler Sicht noch lange Zeit die wichtigsten Energieträger bleiben
Trotz der hochgesteckten politischen Klimaziele und des geförderten Ausbaus der erneuerbaren Energien reichen diese nicht aus, um den stetig wachsenden Energiehunger der Weltbevölkerung zu befriedigen. Zwischen 2001 und 2020 ist der globale Verbrauch von Energie auf Basis von Erdöl, Erdgas und Kohle jeweils annähernd in gleichem Maß gestiegen wie derjenige auf Basis der Erneuerbaren.
Abbildung 2: Energieverbrauch nach Energieträgern und Regionen | Eigene Darstellung, Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy July 2021, Karte: Simplymaps freigegeben unter Creative Commons Public License
Aus Abbildung 2 wird deutlich, dass die erneuerbaren die fossilen Energieträger zwischen 2001 und 2020 nicht ersetzt, sondern höchstens ergänzt haben. Der fortschreitende Verzicht auf Kohle in Nordamerika und Europa wurde in der weltweiten Summe durch die vermehrte Nutzung dieses Rohstoffs im asiatisch-pazifischen Raum zunichte gemacht. Über die Hälfte der weltweiten Nutzung von Kohle erfolgte 2020 in China, gefolgt von Indien mit einem Anteil von 12 Prozent.
Aufgrund des anhaltenden Wachstums des Energieverbrauchs und des noch immer unterdurchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauchs in Asien ist auch in der nächsten Zukunft trotz vermehrten Ausbaus der Erneuerbaren in der Summe mit einer deutlichen Steigerung der Nutzung fossiler Energieträger zu rechnen. Dies geht auch aus der Prognose in Abbildung 2 hervor, die mithilfe einer einfachen Extrapolation des Verbrauchs zwischen 2011 und 2020 berechnet wurde.
Produktion und Verbrauch von Energie weltweit
Im Gegensatz zum überregionalen Im- und Export von Öl, Gas und Kohle sowie daraus abgeleiteten Produkten ist das Volumen des internationalen Handels mit erneuerbaren Energien vergleichsweise gering. Deutschland hat laut des Monitoringberichts 2021 der Bundesnetzagentur im Jahr 2021 48 Terawattstunden an elektrischer Energie aus nicht benannten Energieträgern importiert und 65 Terawattstunden exportiert. Auch die Produktion und der Verbrauch von Biokraftstoffen hielt sich die Waage. 2020 hat Deutschland laut des BP Statistical Review of World Energy Biokraftstoffe mit einem Energieinhalt von circa 40 Terawattstunden produziert und verbraucht.
Im selben Jahr hat Deutschland hingegen laut Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mehr als 80 Millionen Tonnen Rohöl mit einem Energiegehalt von circa 950 Terawattstunden sowie laut BP über 100 Milliarden Kubikmeter Erdgas mit einem Energiegehalt von circa 1.000 Terawattstunden importiert. Projekte, die Solarenergie aus sonnigen Regionen wie den Anrainerstaaten der Sahara oder dem Nahen Osten in großen Mengen nach Europa liefern sollen, sind bisher entweder gescheitert oder stecken noch in den Kinderschuhen.
Die Produktion und der Verbrauch fossiler Energieträger sind regional sehr unterschiedlich. Natürliche Vorkommen sowie die Kosten für die Förderung sind ausschlaggebend dafür, ob ein Land ausreichend Öl, Gas oder Kohle produzieren oder gar exportieren kann. Eine hohes Niveau industrieller Entwicklung und ein hoher Pro-Kopf-Verbrauch an Energie stehen wiederum in Zusammenhang mit einem großen Bedarf an fossiler Energie, die bei nicht vorhandenen oder versiegenden eigenen natürlichen Vorkommen importiert werden muss.
Wie aus Abbildung 3 ersichtlich wird, fehlt es in Europa und im asiatisch-pazifischen Raum an einer angemessenen Produktion an Erdöl und Erdgas, um den eigenen Verbrauch zu decken. Auch in Nordamerika mangelte es Anfang der 2000er Jahre aufgrund des selbst für Industriestaaten überdurchschnittlichen Verbrauchs an Öl und Gas in den USA an einer ausreichenden heimischen Produktion. Erst mithilfe der Methode des Hydraulic Fracturings, kurz Fracking genannt, ist es den USA gelungen, die in unterirdischen Schieferschichten gebundenen Öl- und Gasvorkommen zu fördern. Innerhalb weniger Jahre sind die USA auf diese Weise vom größten Erdölimporteur zu einem global bedeutenden Exporteur von Öl und Gas aufgestiegen.
Abbildung 3: Öl, Gas, Kohle - Verbrauch vs. Produktion nach Regionen | Eigene Darstellung, Datenquelle: BP Statistical Review of World Energy July 2021, Karte: Simplymaps freigegeben unter Creative Commons Public License
Die Prognose in Abbildung 3 wurde wiederum mittels Extrapolation des Verbrauchs beziehungsweise der Produktion im Zeitraum 2011 bis 2020 berechnet. Es ist zu erkennen, dass es bei einer weiteren Steigerung der nordamerikanischen Öl- und Gasproduktion zu einer weltweiten Deckung des Bedarfs oder sogar zu einem Überangebot kommen kann. Ob die Produktion von Erdöl und Erdgas in den USA weiterhin so rapide ansteigt wie in den 2010er Jahren, hängt insbesondere davon ab, ob die Weltmarktpreise dieser Energieträger anhaltend hoch bleiben. Dies steht jedoch im Gegensatz zu dem Überangebot, das trotz steigenden globalen Bedarfs durch das Fracking selbst erzeugt wird.
Fracking und die Öl- und Gaspreise
Bei der Förderung von Schieferöl und Schiefergas muss nicht nur senkrecht in den Boden, sondern in großen Tiefen auch horizontal in die öl- und gashaltigen Schieferschichten gebohrt werden. Nachdem durch Sprengung in der horizontalen Bohrung Risse in die Gesteinsschicht eingebracht wurden, werden unter hohem Druck große Mengen an Wasser und Chemikalien in die Schicht gepumpt, so dass das darin gebundene Öl und Gas gefördert werden kann. Die Kosten der Produktion sind aufgrund des höheren technischen Aufwands, der großen Mengen an benötigtem Wasser und Chemikalien, der Aufbereitung des verwendeten Wassers und der relativ schnellen Erschöpfung der Bohrlöcher deutlich höher als bei der Förderung konventioneller Öl- und Gasvorkommen. Die Produktionskosten für konventionelles Erdöl liegen je nach Land zwischen 8,50 Dollar (Kuwait) und 52,50 Dollar (Großbritannien) pro Barrel.
Abbildung 4: Produktionskosten je Barrel Erdöl in US-Dollar | Eigene Darstellung, Datenquelle: CNN
Die Kosten für ein Barrel Schieferöl belaufen sich in den USA hingegen je nach Fördergebiet auf 48 bis 69 Dollar. Der für den internationalen Handel ausschlaggebende Ölpreis schwankt seit Anfang des 21. Jahrhunderts zwischen 25 und 145 Dollar je Barrel. Ein niedriger Ölpreis kann also dazu führen, dass sich die Förderung von Schieferöl nicht mehr rentiert. Gründe für die starken Schwankungen sind die steigende Nachfrage in Asien sowie konjunkturbedingte hohe und niedrige Nachfragen, aber auch Spekulationen, militärische Konflikte in Öl fördernden Staaten, Sanktionen gegen Öl produzierende Länder sowie Preiskämpfe zwischen Erdöl exportierenden Staaten.
Abbildung 5: Ölpreis West Texas Intermediate (WTI) in Dollar pro Barrel | Eigene Darstellung, Datenquelle: U.S. Energy Information Administration
Die heftigen Schwankungen in Abbildung 5 erklären sich folgendermaßen:
Der steigende Bedarf in Asien sowie der Irakkrieg ab 2003 haben zu einem kontinuierlichem Anstieg des Ölpreises geführt.
Im Laufe des Jahres 2008 erreichte der Ölpreis seine bisherige Höchstmarke von 145 Dollar pro Barrel. Über die Gründe für diesen außerordentlichen Wert streiten sich die Analysten. Neben der gestiegenen Nachfrage in Asien wird auch Spekulation als Ursache genannt.
Im Dezember 2008 fiel der Preis aufgrund der Weltfinanzkrise und einer damit verbundenen geringeren Nachfrage in kürzester Zeit auf knapp 30 Dollar.
Zwischen Anfang 2011 und Ende 2014 stieg der Ölpreis mehrfach aufgrund wieder steigender Nachfrage und der Bürgerkriege und Konflikte in den Ölförderländern Nordafrikas und des Nahen Ostens auf über 100 Dollar.
Ein Preiskampf zwischen Saudi-Arabien und den USA ab Anfang 2015 führte dazu, dass der Ölpreis über längere Zeit bei 50 Dollar und zum Teil weit darunter lag.
Anfang 2020 fand der bisher stärkste Einbruch des Ölpreises infolge der Lockdownmaßnahmen vieler Länder in der Corona-Krise und der damit verbundenen niedrigen Nachfrage statt. Kurzfristig mussten Händler, die mit Öl spekulierten, sogar aufgrund von Lagerengpässen dafür zahlen, dass ihnen das Rohöl abgenommen wurde.
Ab März 2022 stieg der Preis wieder auf über 100 Dollar aufgrund des Ukraine-Konflikts und der Sanktionen gegen Russland sowie einer weltweit wieder anziehenden Konjunktur.
Da die Gaspreise in vielen internationalen Lieferverträgen an den Ölpreis gebunden sind, ist hier eine ähnliche Schwankung zu verzeichnen. Abbildung 6 zeigt die monatlichen Importpreise für Gas in Deutschland.
Abbildung 6: Importpreis für Erdgas in Deutschland in Euro je Terajoule | Eigene Darstellung, Datenquelle: Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle
Für die extreme Steigerung der Gaspreise seit Ende 2021 macht das Statistische Bundesamt die sich rasch erholende Wirtschaft nach dem Einbruch durch die Corona-Krise sowie „Unsicherheiten vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine“ verantwortlich. Das Bundesamt verschweigt, dass die Gründe für die hohen Preise nicht unbedingt mit teureren Gaslieferungen aus Russland zusammenhängen. Das russische Unternehmen Gazprom hat in langjährigen Verträgen, die bis in die 2030er Jahre hineinreichen, feste Liefermengen und Preise mit deutschen Unternehmen vereinbart. Es sind eher die deutschen Abnehmer wie Uniper, die das russische Gas zu einem höheren Preis weiterverkaufen. Bereits in der Vergangenheit hat Uniper russisches Gas deutlich teurer in Deutschland und Europa weiterverkauft, als das Unternehmen dafür im Einkauf bezahlen musste.
Fazit
Selbst schwere wirtschaftliche Rückschläge wie die Weltfinanzkrise oder die Folgen des Lockdowns im ersten Corona-Jahr haben die globale Steigerung des Energiebedarfs kaum bremsen können. Trotz der Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energie werden die Produktion, der Transport und der Verbrauch von Erdöl und Erdgas zukünftig weiterhin eine wichtige Rolle bei geopolitischen Entscheidungen spielen.
Da die Schieferöl- und Schiefergasproduzenten in den USA einen hohen Ölpreis benötigen, um rentabel arbeiten zu können, profitieren sie von internationalen Konflikten, die den Preis in die Höhe treiben. An sämtlichen Konflikten in den letzten 20 Jahren, die zu einer messbaren Erhöhung des Ölpreises geführt haben – so die Kriege im Irak 2003, in Libyen 2011, in Syrien seit 2011 und aktuell in der Ukraine –, waren und sind die USA maßgeblich beteiligt.
Wie sehr sich das US-amerikanische Engagement in den internationalen Konflikten für die eigene Öl- und Gasindustrie lohnt, zeigt ein einfaches Rechenbeispiel: Im Jahr 2020 haben die USA 2,9 Milliarden Barrel Erdöl und Ölprodukte exportiert. Bei einem Ölpreis von derzeit (Juni 2022) circa 120 Dollar beträgt die Gewinnmarge eines Fasses Schieferöls mindestens 50 Dollar. Dies würde einen Jahresgewinn von mindestens 145 Milliarden Dollar bedeuten. Hingegen würden bei einem Preis von unter 70 Dollar pro Barrel, wie er noch Anfang Dezember 2021 zu verzeichnen war, einige Schieferölproduzenten in den Vereinigten Staaten bereits rote Zahlen schreiben.
Weiterer Artikel zum Thema: Klima-Lockdown? (Anja Baisch, 16.10.2021)
Über den Autor: Karsten Montag, Jahrgang 1968, hat Maschinenbau an der RWTH Aachen, Philosophie, Geschichte und Physik an der Universität in Köln sowie Bildungswissenschaften in Hagen studiert. Er war viele Jahre Mitarbeiter einer gewerkschaftsnahen Unternehmensberatung, zuletzt Abteilungs- und Projektleiter in einer Softwarefirma, die ein Energiedatenmanagement- und Abrechnungssystem für den Energiehandel hergestellt und vertrieben hat. Er ist regelmäßiger Autor für Multipolar. Seine im Oktober 2021 bei Multipolar veröffentlichten Recherchen zu den Abrechnungsdaten der Krankenkassen mit Blick auf COVID-19 wurden von verschiedenen Medien aufgegriffen – und erschienen im März 2022 auch im International Journal of Epidemiology.
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