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Den Fokus aufs Wichtige schärfen!

Wie buergerfunk.news den Lokaljournalismus neu beleben kann -
mehr Infos für Bürger, um ihre Lebenswelt wieder sichtbar zu machen.

Am Beispiel der Stadt Leipzig und ihrer Vororte zeigt sich: Wo etablierte Mainstream-Medien Know-how und Manpower abbauen, um Geld zu sparen - da bleiben die alltäglichen Interessen vieler Menschen auf der Strecke. Weil niemand mehr darüber schreibt, was in ihrer Heimat, im direkten Umfeld passiert. Wenn der Spielplatz in der Nachbarschaft dringend saniert werden muss oder warum der Einkaufsmarkt im Ortsteil immer noch nicht gebaut wird. Dort, wo relevante lokale Informationen nicht mehr transportiert werden, kommt auch das Miteinander in Gemeinden ins Stocken. Verliert auch die Kommunalpolitik den Draht zu ihren Bürgern.

Leipzig war einst stolze Medien-Stadt. Immerhin kam die allererste Tageszeitung der Welt von hier. Der Artikel fasst im Zeitraffer zusammen, wie die lokale Berichterstattung in der Region schrittweise ausgetrocknet wurde. Und wie ein großer Monopolist namens Leipziger Volkszeitung daran beteiligt war. Die Autorin kommt zu dem Schluss: Das muss sich wieder ändern! Und eine Idee liefert sie auch gleich mit - die nennt sich buergerfunk.news!

Die erste gedruckte Tageszeitung der Welt hat Timotheus Ritzsch 1650 in Leipzig herausgegeben - die Einkommende Zeitung [1]. Unregelmäßig erscheinende Nachrichtenblätter waren bereits vorher an verschiedenen Orten im Dreißigjährigen Krieg etabliert. In Leipzig erschienen ab 1634 erste wöchentliche Zeitungen, zunächst ohne Titel, ab 1635 als Ordentliche Wochentliche Zeitungen, mit Nachrichten von Kriegsschauplätzen [2].

Seitdem wurden über die Jahre in Leipzig mehr als 100 Zeitungstitel verlegt. In der Industriestadt siedelten sich Papierherstellung, Verlage und Druckmaschinenindustrie an. Diese Ära ging spätestens im Herbst 2019 zu Ende, als die letzte in Leipzig gedruckte Tageszeitung die Presse verließ [1]. Dies war die Leipziger Volkszeitung (LVZ), bis heute die einzige verbliebene regionale Tageszeitung in der Stadt, die somit ein Monopol inne hat. Seit 2019 wird sie nicht mehr in Leipzig, sondern in der Verlagsdruckerei der Mitteldeutschen Zeitung in Halle (Saale) gedruckt. Die LVZ gehört zur Madsack Mediengruppe im Redaktionsnetzwerk Deutschland, beide mit Sitz in Hannover. Gegründet wurde die LVZ 1894 als sozialdemokratische Zeitung in Leipzig. 1933 wurde sie verboten. Ab 1946 erschien sie wieder regelmäßig und wurde das Organ der Bezirksleitung Leipzig der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), bis 1989 [3]. Daneben gab es in der DDR Regionalzeitungen der Blockparteien. In Leipzig waren das: Die Union (CDU), Sächsisches Tageblatt (LDPD) und die Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten (NDPD) [4].

Eine Tageszeitung kostete in den 1980er Jahren zehn bis 15 Pfennig pro Ausgabe [5]. Nicht wenige Haushalte hatten mehrere Tageszeitungen abonniert, denn diese unterschieden sich inhaltlich vor allem in den Lokal-Teilen. Insbesondere 1989, im Jahr der Wende, war die Berichterstattung über die zunehmende Unzufriedenheit unter den Menschen sowie über die Demonstrationen in den einzelnen Zeitungen differenziert. Nach der Wende, Anfang 1990, trennte sich die LVZ von ihrem bisherigen Herausgeber SED und erschien als „unabhängige Tageszeitung", bis der Verlag 1991 von der Treuhand zu gleichen Teilen an Axel Springer und Madsack verkauft wurde [3]. Damit war es mit der Unabhängigkeit ganz schnell wieder vorbei. Ab Januar 1990 erschien in Leipzig eine neue Zeitung mit dem Namen Wir in Leipzig, zunächst wöchentlich und dann ab 17.04.1990 als Tageszeitung [6]. Die Redaktion bestand überwiegend aus ostdeutschen Journalisten und Laien, die eine ehrliche und engagierte Zeitung für Leipzig gestalten wollten. Diese konnte ihr Verbreitungsgebiet mit Regionalausgaben in sechs weiteren Städten schnell ausdehnen und stand in direkter Konkurrenz zur LVZ. Leider wurden die Regionalausgaben aus finanziellen Gründen sehr bald wieder eingestellt, und am 14.10.1991 erschien schließlich aus gleichem Grund die letzte Ausgabe der Zeitung in Leipzig [6]. Auch die anderen, ehemals von den Blockparteien der DDR herausgegebenen Tageszeitungen überlebten nicht. Die Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten wurden Mitte 1990 aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. 

Die Union Anfang 1992 - plötzlich und unerwartet. Das Sächsische Tageblatt hieß nach der Wende Leipziger Tageblatt, wurde an Springer verkauft und nach knapp einem Jahr aus taktischen Gründen eingestellt, denn damals gehörte dem Springer-Verlag gleichzeitig die Hälfte der LVZ. 2009 veräußerte Springer seinen Anteil an der LVZ, seitdem gehört die Zeitung zu 100 Prozent zur Madsack-Gruppe. So wie eine ganze Reihe weiterer regionaler Tageszeitungen, wie die Hannoversche Allgemeine, die Ostsee-Zeitung oder die Märkische Allgemeine Zeitung. Da war es naheliegend, dass der Konzern die Berichterstattung zentralisierte und ganze Bereiche in den Regionalzeitungsredaktionen strich. So wurden über die Jahre in der LVZ immer wieder Stellen abgebaut. Im Jahr 2011 fielen 53 Stellen weg [7]. Schon drei Jahre später folgten weitere 40 Stellen. Zeitgleich wurde die Redaktionsstruktur verändert [8]. Die LVZ hatte früher den Bezirk Leipzig mit den umliegenden Städten und Gemeinden abgedeckt und betrieb auch nach der Wende noch einige Lokalredaktionen. 

Mit der Umstrukturierung 2014 wurde im Haupthaus Leipzig ein „Regionaldesk" eingerichtet, im Gegenzug mussten die Außenredaktionen in Delitzsch-Eilenburg, Muldental und Borna-Geithain Kürzungen bis auf jeweils drei Stellen in Kauf nehmen. Spätestens jetzt fand der Lokaljournalismus in der Fläche vom Schreibtisch aus statt, weit weg vom Leser. Parallel nahm der Anteil des Inhaltes der LVZ, der vom Redaktionsnetzwerk Deutschland erstellt wurde, immer weiter zu, und lokale Inhalte nahmen ab. Heute beklagen langjährige Leser, dass der Lokalteil ihrer Zeitung sie überhaupt nicht mehr zufriedenstellt. Ihnen fehlen die fundierte Berichterstattung über lokale Ereignisse sowie umfassende Informationen über Veranstaltungen und Rezensionen zu diesen. Man kann sich in Leipzig noch in einem kostenlosen Anzeigenblatt informieren, dem Sachsen Sonntag, in dem einige lokale Informationen stehen. Allerdings gehört auch dieses Anzeigenblatt der Madsack-Gruppe [9], womit klar sein dürfte, dass auch hier wieder Synergien genutzt werden.

Weitere Printmedien in Leipzig sind die BILD mit einem Regionalteil, die monatlich erscheinende Leipziger Zeitung und Kreuzer, eine Kulturzeitung [10]. Das sind sehr wenige Zeitungen für eine Großstadt mit knapp 625.000 Einwohnern.

Eine Besonderheit der Großstadt Leipzig sind eingemeindete Ortschaften ehemaliger Randlagen. In diesen Ortschaften existieren nach wie vor Gemeindeblätter auf Anzeigenbasis, die zum großen Teil von örtlichen Unternehmern finanziert sind. Das sind kleinere Heftchen wie das Baalsdorfer Angerblatt [11] oder auch Zeitungen, die sowohl gedruckt als auch online erscheinen wie das Mölkauer Gemeindeblatt [12]. Darin finden sich hauptsächlich Informationen aus den Ortschaftsräten und Veranstaltungshinweise. Die Bürger in den Vororten sind auf diese oftmals ehrenamtlich erstellten Inhalte angewiesen, wenn sie wissen wollen, was in ihrer Nachbarschaft passiert.

Für die öffentlich-rechtlichen Medien gehört Leipzig zum Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), der die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen versorgt. Somit ist schon von vornherein eine umfassende lokale Berichterstattung ausgeschlossen. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien haben über die Jahre an den Regionalredaktionen immer weiter eingespart.

Wie könnte nun buergerfunk.news zu einer besseren Lokalberichterstattung beitragen? Denkbar wäre ein regionales Online-Portal, das sämtliche Inhalte der regionalen Zeitungen und Sender bündelt, sodass Nutzer alle lokalen Informationen an einem Ort übersichtlich sortiert finden. Zusätzlich könnten hier Beiträge und Artikel von freien Journalisten, engagierten Bürgern, Vereinen und Initiativen mit regionalem Bezug ihren Platz finden. Eine eigene Lokalredaktion von buergerfunk.news könnte diese Inhalte zusammenfassen. Aus vielen derartigen Regional-Portalen ließe sich nach und nach ein Netzwerk bilden, das starken Lokaljournalismus mit Bürgerbeteiligung in ganz Deutschland abbildet.

Redaktion: Gerd Langosch     

Quellen:

[1] Deutsche Nationalbibliothek, „370 Jahre Zeitungsdruck in Leipzig", Pressemitteilung vom 16.09.2020 <https://www.dnb.de/DE/Ueber-uns/Presse/ArchivPM2020/20200916Zeitungsdruck.html>
[2] Stadt Leipzig, Bürgerservice und Verwaltung, „Erste Tageszeitung kam aus Leipzig" von Bettina Rüdiger <https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/unsere-stadt/stadtgeschichte/historisches-aus-1000-jahren/erste-tageszeitung-kam-aus-leipzig>
[3] Wikipedia, „Leipziger Volkszeitung" <https://de.wikipedia.org/wiki/Leipziger_Volkszeitung>
[4] Wikipedia, „Tageszeitungen der DDR" <https://de.wikipedia.org/wiki/Tageszeitungen_der_DDR>
[5] Geheimtipp Leipzig, „Leipziger Tageszeitungen", 02.08.2017 <https://geheimtipp-leipzig.de/leipziger-tageszeitungen/>
[6] Wikipedia, „Wir in Leipzig" <https://de.wikipedia.org/wiki/Wir_in_Leipzig>
[7] Süddeutsche Zeitung, „Zentrale Berlin - Stellenabbau bei Leipziger Volkszeitung" von Christiane Kohl, 28.11.2011 <https://www.sueddeutsche.de/medien/stellenabbau-bei-leipziger-volkszeitung-zentrale-berlin-1.1220993>
[8] Große Worte, „Leipziger Volkszeitung: Massiver Stellenabbau bis Ende 2015" von Daniel Große, 22.05.2014 <https://www.danielgrosse.com/blog/leipziger-volkszeitung-massiver-stellenabbau-bis-ende-2015/>
[9] Wikipedia, „Verlagsgesellschaft Madsack, Tageszeitungen" <https://de.wikipedia.org/wiki/Verlagsgesellschaft_Madsack#Tageszeitungen>
[10] Stadt Leipzig, „Medien in Leipzig" <https://www.leipzig.de/presse/medien-in-leipzig>
[11] <https://www.facebook.com/BaalsdorferAngerblatt/?locale=de_DE>
[12] Linus Wittich, „Mölkauer Gemeindeblatt" <https://www.wittich.de/produkte/zeitungen/2824-moelkauer-gemeindeblatt>

Bild: Eine der ältesten erhaltenen Ausgaben der Einkommenden Zeitungen (Nr. 9 von 1650). Quelle: Wikipedia.org, Gemeinfrei.
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Sonntag, 19. Mai 2024